Für den Bruchteil einer Sekunde wäre ich am liebsten tot gewesen. Wäre ich tot gewesen, hätte ich diese Frage nicht hören können. Mir schauderte plötzlich vor mir selbst, weil ich imstande war, sie zu hören. Kurz, am Leben zu sein. [...] - Kommen Sie, habe ich gesagt, ich zeige es Ihnen. [...] Ich hatte sie durch die kleine Tür des Krematoriums eintreten lassen, die in den Keller führte. Sie hatten begriffen, dass es keine Küche war und verstummten plötzlich. Ich habe ihnen die Haken gezeigt, an denen die Deportierten gehenkt wurden, denn der Keller des Krematoriums diente gleichzeitig als Folterkammer. Ich habe ihnen die Ochsenziemer und die Keulen gezeigt. Ich habe ihnen die Lastenaufzüge gezeigt, die die Leichen ins Erdgeschoß brachten, direkt vor die Öfen. Wir sind ins Erdgeschoß gestiegen, und ich habe ihnen die Öfen gezeigt. Sie hatten nichts mehr zu sagen. Kein Lachen mehr, keine Gespräche mehr: Schweigen. Drückend genug, dass es ihre Anwesenheit hinter mir verriet. [...] Ich spürte das Gewicht ihres Schweigens in meinem Rücken.
Ich habe ihnen die Reihen der Öfen gezeigt, die halbverkohlten Leichen, die noch darin lagen. Ich sprach kaum. Ich nannte ihnen einfach die Dinge, ohne Kommentar. [...] Danach habe ich sie aus dem Krematorium auf den von einem hohen Bretterzaun umgebenen Innenhof geführt. Dort hatte ich nichts mehr gesagt, überhaupt nichts mehr. Ich hatte sie schauen lassen. Dort lag, in der Mitte des Hofs, ein Leichenberg, gut drei Meter hoch. Ein Haufen vergilbter, verkrümmter Skelette mit schreckensstarren Blicken. [...] Ich hatte mich umgedreht, sie waren gegangen. Sie waren vor diesem Anblick geflohen. Ich verstand sie übrigens. Bestimmt war es nicht angenehm, zu einer touristischen Besichtigung nach Buchenwald zu kommen und dann jäh vor einem so wenig präsentablen Leichenberg zu stehen. Ich war wieder auf den Appellplatz hinausgegangen und hatte mir eine Zigarette angezündet. Eine der jungen Frauen wartete auf mich, jene, die blaue Augen hatte.
Jorge Semprun, Schreiben oder Leben.
